Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt
Fünf Fragen an unsere Expertin Katharina Loerbroks
Konzepte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Jugend- und Eingliederungshilfe sind seit dem 1. Januar 2012 gesetzlich vorgeschrieben (§§ 45, 79a SGB VIII). Die Entwicklung von einrichtungsbezogenen Konzepten zum Schutz vor Gewalt und sexueller Ausbeutung ist damit ein förderrelevanter Faktor für freie Träger. Über die Unterstützung bei der Erarbeitung und Umsetzung eines individuellen Schutzkonzeptes für Ihre Organisation sprechen wir mit Katharina Loerbroks vom Diakonischen Institut für Qualitätsentwicklung (DQE).
- Was ist ein Schutzkonzept vor sexualisierter Gewalt?
"Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten (Schulen, Kitas, Kirchengemeinden, stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe), stehen vor der Herausforderung, diesen jungen Menschen geschützte Räume anzubieten.
Laut dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) müssen Einrichtungen und Institutionen sowohl einen Schutz- wie Kompetenzort bieten. Ein Schutzkonzept sorgt mit dafür, dass Einrichtungen und Institutionen dabei Erfahrungsräume und Orte werden, an denen Kinder und Jugendliche wirksam vor sexualisierter Gewalt geschützt sind. Zugleich sollen sie auch Orte sein, an denen Kinder und Jugendliche kompetente Ansprechpersonen finden, die zuhören und helfen können. Schutzkonzepte sollen Bedingungen schaffen, die das Risiko senken, zum Tatort von sexualisierter Gewalt zu werden. In der „Gewaltenschutz-Richtlinie“ der EKD ist die Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten als wichtiger Bestandteil beschrieben. Diese Richtlinie gilt auch für die Einrichtungen und Träger der Diakonie.
Schutzkonzepte zur Prävention und Intervention sind ein Zusammenspiel aus Analyse, strukturellen Veränderungen, Vereinbarungen und Absprachen sowie Haltung und Kultur einer Organisation. Es handelt sich um einen Organisationsentwicklungsprozess, bei dem alle Mitarbeitenden (Haupt- wie Ehrenamtliche) beteiligt werden sollen."
Ein Schutzkonzept besteht aus folgenden neun Bestandteilen:
1. Leitbild:
Verankerung des Themas „Schutz vor sexualisierter Gewalt“ im Leitbild.
2. Personalverantwortung:
Die Leitung ist verantwortlich für die Personalgewinnung, Personalauswahl und Personalentwicklung. Das bedeutet in diesem Fall das Vorhandensein eines Schutzkonzeptes bereits im Bewerbungsgespräch zu thematisieren und Mitarbeitende darin zu unterstützen eine entsprechende Haltung zum Schutz der Schutzbefohlenen (weiter) zu entwickeln.
3. Schulungen
Mitarbeitende müssen zu allen Themen, die den Schutz vor sexualisierter Gewalt betreffen, regelmäßig geschult werden.
4. Verhaltenskodex
In einem Verhaltenskodex wird zusammen mit allen Beteiligten festgelegt, wie mit Situationen, die von Tätern und Täterinnen für die Ausübung von sexualisierter Gewalt ausgenutzt werden können, umgegangen wird. Ein Verhaltenskodex beschreibt konkret festgelegte Umgangsweisen z.B. bzgl. Sprache, Kleidung, Umgang mit Geschenken usw. Er gibt den Mitarbeitenden gleichzeitig Sicherheit welches Verhalten gewünscht und akzeptiert wird (und umgekehrt: welches nicht).
5. Präventionsangebote
Der beste Schutz vor sexualisierter Gewalt entsteht durch präventive Angebote: Kinder und Jugendliche wissen um ihre Rechte, Mitarbeitende sind sich der Bedeutung von professioneller Nähe und Distanz bewusst und leben eine Kultur der Achtsamkeit. Zur Prävention gehört auch, Vorkommnisse von sexualisierter Gewalt zu bearbeiten, Betroffene zu schützen und zu unterstützen sowie anschließend die Vorkommnisse dahingehend aufzuarbeiten, dass die Strukturen, die es möglich gemacht haben, nachhaltig verändert werden.
6. Partizipation
Auch bei der Entwicklung und Implementierung ist die partizipative Vorgehensweise wichtig und notwendig. Kinder und Jugendliche wissen genau, wann und wo sie sich sicher fühlen. Sie müssen die Gelegenheit haben, sich dazu zu äußern und an der Entwicklung eines Schutzkonzeptes zu beteiligen. Das gilt ebenso für die Mitarbeitenden und Sorgeberechtigten. Ein Schutzkonzept kann nicht „von oben“ entwickelt und „angeordnet“ werden.
7. Beschwerdewege/Ansprechpersonen
Eine Einrichtung benötigt ein geregeltes transparentes Beschwerdemanagement. Dazu gehört insgesamt eine fehlerfreundliche Atmosphäre. Kinder und Jugendliche müssen die Gelegenheit haben sich zu beschweren über Dinge und Abläufe, die ihnen wichtig sind. Nur wenn diese Möglichkeit im Alltag gelebt wird und sie erleben, dass ihnen zugehört und geglaubt wird, können sie auch Vorkommnisse von sexualisierter Gewalt ansprechen.
8. Interventionsplan
Eine Einrichtung benötigt geregelte Abläufe und Zuständigkeiten bei Vorkommnissen von sexualisierter Gewalt: Wer ist wofür zuständig? Wer hat welche Verantwortlichkeiten? Wer muss benachrichtigt und informiert werden? Wer vertritt wen und was nach außen? Alle diese Fragen müssen geklärt sein bevor ein Krisenfall eintritt.
9. Kooperation
Die Kooperation mit Fachberatungsstellen unterstützt bei der Entwicklung von Schutzkonzepten und ist zusätzlich wichtig bei der Einschätzung und Bearbeitung von Vorkommnissen."
- Benötigt mein Träger ein Schutzkonzept und warum?
"Träger und Einrichtungen, die gemäß §45 SGB VIII eine Betriebserlaubnis benötigen, müssen der genehmigenden Behörde ihr Konzept bzgl. Partizipation und Beschwerdemanagement vorlegen. Hier geht das Verständnis zum Umfang eines Schutzkonzeptes in Anlehnung an die Erfordernisse, die vom UBSKM festgelegt wurden, weiter.
Ja, der Träger, die Einrichtung benötigt ein Schutzkonzept vor sexualisierter Gewalt im oben beschriebenen Umfang, um Schutzbefohlenen die größtmögliche Sicherheit zu bieten."
- Worin werden Interessent*innen durch das vorliegende Angebot unterstützt?
"Das Angebot umfasst sowohl die Schulung im Sinne einer Sensibilisierung als auch die Schulung und Begleitung von Mitarbeitenden und Einrichtungen bei der Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten vor sexualisierter Gewalt. Dazu gibt das Bundesrahmenhandbuch „Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt", das vom DQE zusammen mit einer Projektgruppe von Expert*innen entwickelt wurde, eine gute Orientierung. Das Bundesrahmenhandbuch orientiert sich ebenfalls an den vom UBSKM festgelegten Bestandteilen eines Schutzkonzeptes.
Es ist auch möglich, sich mit einzelnen Themenschwerpunkten und/ oder Bestandteilen zu beschäftigen, die für die Entwicklung eines Schutzkonzeptes relevant sind. Dazu gehören z.B. Themen wie „Strategien von Täterinnen und Tätern“ oder „Risikoanalyse“ oder alle Inhalte und Prozesse, die das Thema „Personalverantwortung“ behandeln und im Blick haben."
- Wie kann eine Zusammenarbeit aussehen?
"Die Einrichtung/ der Träger wendet sich an das Diakonische Institut für Qualitätsentwicklung (DQE) bzw. an die Bundesakademie für Kirche und Diakonie (BAKD) und formuliert die gewünschten Themen zu denen geschult bzw. vor Ort etwas entwickelt werden soll. Das DQE bzw. die BAKD vermittelt dann diese Anfrage an ihre Expertin für dieses Thema. Zusammen mit der anfragenden Institution/ Einrichtung/ dem Träger wird dann ein individuelles Angebot erstellt. Dabei kann es sich um eine Schulung, einen Fachtag zu einem bestimmten Thema aus dem Bundesrahmenhandbuch oder auch um die Begleitung eines Prozesses zur Entwicklung und Implementierung eines Schutzkonzeptes bzw. einzelner Bestandteile handeln."
- Was sind erste Schritte bei der Erstellung eines Schutzkonzeptes vor sexualisierter Gewalt?
"Die Einrichtungen, Institutionen, Träger, die sich auf den Weg machen, werden sich zunächst mit den Entstehungsbedingungen von sexualisierter Gewalt auseinandersetzen. Dazu ist es notwendig sich Klarheit zu verschaffen, welche Strategien Täter und Täterinnen verfolgen und welche Gelegenheiten sich direkt vor Ort bieten könnten. Daraus ergibt sich anschließend die Risikoanalyse, um dann die einzelnen Bestandteile partizipativ weiter zu entwickeln. Im Sinne eines Organisationsentwicklungsprozesses werden die einzelnen Schritte immer wieder auf verschiedenen Ebenen thematisiert und rückgekoppelt. Die Einrichtung eines aus unterschiedlichen Bereichen besetzten Teams, das diese Schritte koordiniert und steuert, hat sich auch bei diesen notwendigen Prozessen bewährt."


Katharina Loerbroks
Dipl. Sozialpädagogin, Systemische Familientherapeutin, Systemische Supervisorin (DGSv, SG). Aktuell: freiberuflich als Supervisorin und Coach in eigener Praxis und Dozentin für verschiedene Themenschwerpunkte. Expertise in/ für folgende Handlungsfelder: (Beratungsmethodik) Schuldnerberatung, Aus- und Weiterbildung für Supervision und Coaching, Beratung und Begleitung von Betroffenen von frühen Traumatisierungen in Einrichtungen und Institutionen, Prävention vor sexualisierter Gewalt in Einrichtungen und Institutionen, Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten vor sexualisierter Gewalt
